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Wie in fast allen Städten und Dörfern Pommerns stand auch in Ravenstein ein Kriegerdenkmal. Es hatte einen Ehrenplatz vor der Kirche und erinnerte an die Toten des Ersten Weltkrieges. Und wie das bei solchen Gedenkstätten üblich ist, sind alle Namen der Gefallenen und Vermissten darauf verzeichnet. 1919 wurde das Denkmal eingeweiht, und wie mein Großvater einmal in einem Brief schrieb, war es — so wörtlich — ein Kunstwerk, das sich manche Stadt nicht einmal leisten konnte. Ein altes Foto zeigt dieses Denkmal, es war schlicht ohne unnötige Verzierungen und martialisches Beiwerk. Die Inschrift kann man nur noch bruchstückweise entziffern, aber die Namen sind klar und deutlich zu erkennen. Vielleicht findet hier mancher der ehemaligen Ravensteiner noch einen Vater, Großvater oder Onkel. 34 Namen sind auf dem Denkmal verzeichnet, zusammen mit dem Jahr des Todes und dem militärischen Rang. Landsturmmann, Grenadier, Pionier, Musketier, Füselier, Kanonier, das sind die Ränge der Ravensteiner Bauernsöhne, 2 haben es bis zum Unteroffizier gebracht, einer wurde Sergeant. Oberleutnant Kiekebusch ist der einzige Offizier unter den Toten, er war der Sohn des Gutspächters.

Leider sagt die Inschrift nichts über das Land oder den Ort, in dem diese Männer den Tod fanden; so bleibt es der Fantasie des Betrachters überlassen, sich das Sterben dieser Männer auf den berüchtigten Schlachtfeldern des Krieges wie Tannenberg, Flandern oder Verdun vorzustellen.Was mögen die Einwohner Ravensteins gedacht haben, als sie das Denkmal 1919 einweihten? Es gibt ein altes Foto von diesem Ereignis, auf diesem Foto sieht man die Männer und Frauen in ihren Feiertagsgewändern, die Frauen in langen schwarzen Kleidern, den Kopf mit einem Hut bedeckt, ganz nach der Mode der Kaiserzeit, die Männer im Gehrock. Mein Großvater war sicher auch unter den Anwesenden, er hat den Krieg überlebt und ist gesund heimgekehrt. Als pommerscher Bauer kannte er sich gut mit Pferden aus und so diente er bei der Kavallerie als Stallbursche. Das ersparte ihm die vorderste Front und die Notwendigkeit, auf andere Soldaten schiessen zu müssen, die den Sinn dieses Krieges genau so wenig verstanden wie er.

Ob sich die Trauergesellschaft vor der Ravensteiner Kirche bewusst war, warum diese 34 Männer in den Krieg und in den Tod geschickt wurden? Der Auslöser und der Beginn dieses Krieges lässt sich in jeden Geschichtsbuch nachlesen: Weil ein serbischer Nationalist den österreichischen Thronfolger in Sarajewo ermordete, meinte Österreich, es müsse Serbien mit einem Militärschlag bestrafen. Aus Solidarität zu seinen slawischen Brüdern meinte Russland, Serbien beistehen zu müssen, worauf Deutschland, um seinerseits Österreich beizustehen, Russland den Krieg erklärte. Und damit begann der Krieg auf ostpreußischem Boden zwischen Deutschland und Russland. Die Schuldfrage dieses Krieges soll hier nicht weiter erörtert werden, für die Toten war sie unwichtig, und den Hinterbliebenen gegenüber wurde sie, wie so oft in der Geschichte, mit Propagandalügen kaschiert. Die Pommern haben es hingenommen, wie so oft in ihrer Geschichte.

Der preußische König Friedrich II, der Große, schreibt in seinem politischen Testament 1752 über die Pommern: Die Pommern haben einen geraden und schlichten Sinn. Unter den Untertanen aller Provinzen eignen sie sich am besten für den Kriegsdienst wie für alle anderen Ämter."

Und so haben pommersche Soldaten den König in den Siebenjährigen Krieg begleitet, einen Krieg, den er selbst begonnen hat, um sich Sachsen und Schlesien anzueignen. Als der Krieg vorbei war, war auch Pommern stark zerstört, etwa 70000 Tote waren zu beklagen. Friedrich II. hat dann viel getan, um Pommern wieder aufzubauen, er hat neue Dörfer gegründet, Siedler ins Land gerufen und finanzielle Hilfen gewährt. Wegen dieser und anderer kultureller Leistungen wird er noch heute verehrt, und man vergisst darüber, dass er es war, der den Krieg herbeigeführt hat.

Einmal haben sich Pommern nicht zum Spielball der Großen der Geschichte machen lassen. Das im Jahr 1807, als sich die Stadt Kolberg unter Joachim Nettelbeck und von Greisenau gegen die französischen Truppen wehrte, während der preußische König Friedrich Wilhelm III. auf der Flucht nach Osten war und es vorzog, nicht für das Vaterland zu sterben.

82 Jahre liegt die Einweihung des Kriegerdenkmals in Ravenstein zurück und nur wenige der ehemaligen Ravensteiner werden sich an den einen oder anderen der Toten erinnern. Diese 34 Männer, sie starben nicht für das Vaterland, sie starben für Sarajewo, für den Nationalismus der Serben, für die Arroganz der Mächtigen, für die Unfähigkeit der damaligen politischen Klasse, den Frieden zu bewahren. Es wäre alles Geschichte und für die Heutigen ohne Belang, würden uns nicht die Ereignisse auf dem Balkan auf fatale Weise an 1914 erinnern. Im Gegensatz zu damals konnte zwar der große Konflikt vermieden werden, aber jetzt sind deutsche Soldaten in Bosnien und im Kosovo für friedenserhaltende Maßnahmen stationiert. Falls die deutsche Regierung diese Soldaten auch in Kampfeinsätze schickt, was ja so elegant mit friedenschaffende Massnahme umschrieben wird, und falls es die ersten Toten gibt, was soll man dann auf die Grabkreuze schreiben?

Das Kriegerdenkmal in Ravenstein existiert nicht mehr; eine Straße führt über die Stelle hinweg, an der es einmal stand. Für die Ravensteiner Toten des Zweiten Weltkrieges wurde kein Denkmal mehr errichtet, ihre genaue Zahl ist nicht bekannt, ihre Namen sind auf verschiedenen Gedenktafeln in ganz Deutschland verstreut. Ihr Tod war noch sinnloser als der derjenigen auf der obigen Liste. Als Ravenstein am 1.März 1945 von russischen Truppen gestürmt wurde, haben es Freiwillige der SS-Division Nederland verteidigt, junge Männer aus den Niederlanden. Sie wurden einfach überrollt, wie es in einem Bericht heisst. Sie starben für Ravenstein, ihre Zahl und ihre Namen sind unbekannt.

Die Gefallenen des Ersten Weltkrieges.

Die Gedanken der Trauergesellschaft bei der Einweihung des Denkmals waren sicher die, die Menschen immer bei solche Anlässen haben: Die einen sind voll Dankbarkeit für die glückliche Heimkehr des Sohnes, Vaters, Bruders oder Onkels und die anderen suchen verzweifelt nach einer Erklärung, warum der Sohn, Vater, Bruder oder Onkel nicht zurückgekehrt ist. Und dann gab es da sicher noch die Festredner, die weltlichen und die kirchlichen, die versuchten, den Trauernden die Sinnhaftigkeit des großen Sterbens von 1914 bis 1918 verständlich zu machen. Die Inschrift auf dem Stein, wenn auch schwer zu entziffern, gibt uns die Antwort auf die Frage nach dem Sinn:

Sie starben für das Vaterland.

Was ist des Deutschen Vaterland? So hatte Ernst Moritz Arndt etwa 100 Jahre vorher gefragt, aber 1919 hat man es wohl gewusst, denn dieser Satz, in dieser oder ähnlicher Form, findet sich auf allen Kriegerdenkmälern des Ersten Weltkrieges. Wahrscheinlich haben es die Deutschen damals wirklich geglaubt und darin einen Trost gefunden. Heute, in der Distanz von 80 Jahren, ist es nur schwer nachvollziehbar, welchen Stellenwert dieser Begriff im Denken der damaligen Zeit hatte, insbesondere, wenn man sich vergegenwärtigt, zu welchen Zwecken der Begriff Vaterland in der Zwischenzeit missbraucht wurde.

Das Kriegerdenkmal   von Dr. Horst Wobig