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Die Flucht aus dem Kreis Saatzig 1945

zusammengestellt von Heinz Steinberg


"Die Bewohner unseres Kreises waren voller Unruhe. Zwar wähnten sie den Feind noch weit entfernt, denn die amtlichen Berichte und die Propaganda gaben Hoffnung zum Guten. Die Unschlüssigkeit der politischen Führung, insbesondere des damaligen Gauleiters Schwede-Coburg, machte sich bemerkbar und hatte viele Menschen- Leben im Kreis Saatzig gekostet. Dieses geht deutlich aus dem Hin und Her der Anweisungen an die Bürgermeister der Saatziger Gemeinden hervor. Ein Teil der Bevölkerung, die besonders ängstlich oder vorsichtig war und sämtlichen Verlautbarungen nicht mehr trauten, hatte es verstanden, sich trotz aller Strafandrohungen durch die Partei in Sicherheit zu bringen. Andere verkannten die Gefahr und hielten bis zuletzt an ihrer Scholle fest.

Durch die Verlegung des neu eingetroffenen III. Germanischen SS - Pz.- Korps nach Jacobshagen wurde die Sicherheitsfront im Kreis Saatzig weiter ausgebaut. Doch ostwärts des Madüsees und der Ihna, südlich von Jacobshagen, entwickelten sich die Kämpfe nach einem Durchbruch der russischen Panzer um Arnswalde in den Tagen von Ende Januar bis Anfang März. Am Sonnabend des 3. Februar kamen die ersten Flüchtlingstrecks aus dem benachbarten Kreis Arnswalde am Abend über die Ihnabrücke bei Ravenstein. Arnswalde war von den sowjetischen Truppen eingeschlossen und Reetz ging verloren. Nun begann eine Fluchtbewegung der einzelnen Dorftrecks aus demKreis Saatzig nach Norden. Dazu kamen die Trecks aus dem Kreis Friedeberg und Arnswalde. Die Stadt Freienwalde war  teilweise hoffnungslos verstopft.                                                               




















In dem Ortsteil Ihna-Au von Ravenstein war auf unserer Seite Wallonische Waffen-SS eingesetzt. Eine rege Spähtrupptätigkeit und kurze Feuerüberfälle beider Seiten kennzeichneten die Tage bis zum 20. Februar 1945. Die Stimmung der Bevölkerung unseres Landkreises war verzweifelt.

Die von den Soldaten gesprengten Ihnabrücken wurden in der Nacht zum 22. Februar von den Russen wieder repariert. Die Wallonische Einheit wurde abgezogen und von deutscher Infanterie abgelöst. Die Gebäude von Ihna-Au, Robenthal, Lenzhof und im Dorf Ravenstein wurden zum Teil durch die Feuerüberfälle durch russische Flieger und Panzer stark zerstört. Das Dorf brannte. Auch das Dorf Altenwedel entging diesem Schicksal nicht. 

Am 23. Februar überschritten die Russen die Kreisgrenze. Mit starken Kräften setzten sie über die Ihna. Die deutsche Gegenwehr trieb die Russen in den frühen Morgenstunden des 24. Februar wieder zurück. Die Bewohner von Ravenstein, die zum Teil aus dem Dorf geflüchtet waren, nutzten dieses und räumten ihr Dorf und zogen mit Gespannen, vollbeladen mit Fluchtgepäck, ins Ungewisse.

Am 23. Februar mußte ein Durchbruch der Russen im Raum Schwanenbeck abgeriegelt werden. Das Armeekommando in diesem Abschnitt hatte gegenüber einem vielfach überlegenen Gegner einen Sperrriegel in diesem Raum aufgebaut, Westgruppe zwischen Madü-See und Stargard, eine mittlere zwischen Zachan und Jacobshagen und eine Ostgruppe im Raum Nörenberg. Der deutsche Gegenangriff   Am 24. Februar zwang die Russen südlich von Zachan wieder über die Ihna zurück und es gelang den deutschen Verbänden bis zu dem, von den Russen  eingeschlossenen  Arnswalde vorzudringen.

Dadurch war es möglich geworden, die Bevölkerung an der Südgrenze unseres Kreises ohne starke Verluste auf den Weg zu bringen. Es war wirklich die letzte Chance aus der gefährdeten Zone zu entfliehen. Diejenigen, die geblieben waren, mussten viel erdulden. Der auf Stargard gerichtete Vorstoss der Russen wurde durch die energische und hartnäckige Verteidigung der Kampfgruppe Voigt aufgefangen. In der Nacht vom 17. zum 18. Februar mussten jedoch bis 5 Uhr morgens die bereits marschfähigen Zivilisten Stargard durch einen mühsam offengehaltenen Korridor verlassen. Diese waren bis zum 15 km entfernten Zachan marschiert, von wo aus der Weitertransport mit Fahrzeugen erfolgte. Es wurden auch einige LKW's für Alte und Gebrechliche zum Transport nach Zachan eingesetzt. In der Nacht zum 19. Februar wurde unsere Kreisstadt dann von allen noch vorhandenen Zivilisten geräumt.

Schon am 6. Februar verliessen die Dorfbewohner von Schwanenbeck den Ort. Geordnet mit zwei Traktoren und 130 Pferden erreichten sie am 21. Februar ihr angewiesenes Ziel, die Insel Rügen.

In den ersten Morgenstunden des 1. März 1945 begann der erwartete Großangriff der Russen auf breiter Front. Schlagartig setzte der Russe seinen Angriff durch Artillerie und Luftwaffe ein. Diese Vorbereitung des russischen Angriffs dauerte etwa 50 Minuten, dann setzte der Großangriff ein. Der Schwerpunkt lag deutlich an unserer südlichen Kreisgrenze, beiderseits von Reetz. Es war die 61. Armee der Russen, die hier den Durchbruch erzwingen sollte. Hinter deren Front war eine zweite Panzer-Armee bereit gehalten. Westlich von Reetz wurde die SS-Division Nederland einfach überrollt.

Schon morgens gegen 7 Uhr waren die Russen am 2. März 1945 in Jacobshagen. Von hier aus konnten sie ihren Angriff nach Nordwesten, Schönebeck, Voßberg und Freienwalde führen. Ostwärts Reetz gelang es der 5. deutschen Jg.-Div. Mit Unterstützung ihrer Artillerie und den 70 Tiger-Panzern unter verzweifelter Gegenwehr den Angriff zunächst aufzufangen, aber die gewaltigen Massen an Sowjetpanzern erdrückte indessen einfach jeden Widerstand. Auch die erheblichen Panzerabschüsse konnten den Vormarsch der Russen nicht aufhalten.

In allen Orten unseres Kreises begann nun die Flucht vor den Russen.

Nachdem eine Fliegerbombe ein Blutbad anrichtete, verliessen die Bewohner von Rehwinkel ihr Dorf am 1. März 1945. Der Altbauer Gottlieb Becker blieb auf seinem Hof. Das Geschlecht dieser Familie war seit dem Jahr 1665 ansässig.

Der Bauer wurde von den Russen ermordet und später nach den Kampfhandlungen von heimkehrenden Dorfbewohnern gefunden und unter der großen Dorflinde zur letzten Ruhe gebettet. Die Heimgekehrten wurden dann später unter Zurücklassung der noch verbliebenen Habe von den neuen Herren vertrieben. In Ball erschienen plötzlich russische Panzer. Diese kamen durch den Staatsforst und schossen ins Dorf. Es gab Verletzte und grösseren Schaden. Der Widerstand der deutschen Soldaten vertrieb die Russen. Die Bevölkerung verliess den Ort. Auch in Marienfließ gingen die Bewohner erst am 2. März auf den ungewissen Fluchtweg und in der Hoffnung wieder zurückzukommen. Das hungrige Brüllen der Rinder klang den Treckwagen noch lange nach.

Die schnellen Verbände der Russen liessen ihre Schützenverbände bald hinter sich und erreichten noch am 1. März gegen 19 Uhr den Südrand von Nörenberg. Hier fanden die Russen hartnäckigen Widerstand. Die Stadt lag unter schwerem Beschuss. Noch am späten Abend nutzte die Zivilbevölkerung die Zeit, um die kleine Stadt zu verlassen. Am Morgen des 2, März drangen etwa 50 russische Panzer in die Stadt Nörenberg

Ein. Andere russische Einheiten, insbesondere Infanterie, zogen an Neudamerow beiderseitig vorbei, um über Marienfließ, Trampke und dem Vorwerk Kempen nach Uchtenhagen zu kommen. Hier in Uchtenhagen wurden die Russen durch deutsche Soldaten aufgehalten. Andere russische Einheiten nahmen den Weg über Pegelow. Sie hatten das Ziel, die Chaussee von Freienwalde nach Stargard zu besetzen. 

Die Neudamerower brachen erst, nachdem die Russen beiderseitig des Dorfes vorbeistürmten, am frühen Morgen des 3. März auf. Die Bewohner konnten sich schwerlich von der Heimatscholle trennen. Auch die Pegelower setzten sich erst in den ersten Stunden des 3. März mit ihrem Treck nach Westen in Bewegung. Die Dorfgemeinde Tornow verliessen ihr Dorf am 1. März, mit 45 pferdebespannten Wagen über Saatzig, Jacobshagen zum Norden unseres Kreises. Das Dorf Büche wurde am 2. März durch russische Panzer sehr stark zerstört. Die Spitzen der sowjetischen Angriffseinheiten hatten am 2. März die Linie Marienfließ - Freienwalde erreicht und sich frontal festgebissen. Sie holten sich ihre Verstärkungen und versuchten ein umfassendes Umgehungsmanöver, um die deutschen Verbände in unserem Kreis in der Flanke und im Rücken zu fassen. Die deutschen Einheiten hatten sich daher massierten feindlichen Panzerangriffen schon am 2. März bei Freienwalde zu erwehren, wobei Freienwalde am 3. März verloren ging.






















Die Brennpunkte der Kämpfe in diesem Abschnitt lagen auch am 3. März um und bei Freienwalde. Die deutschen Verteidiger wurden schrittweise zurückgedrängt. Ostwärts Stargard erschienen sowjetische Schützenverbände, die aber zunächst aufgehalten wurden, bis ostwärts und nordostwärts. Durchbrüche sowjetischer Panzer erfolgten. Die Stadt Stargard wurde am 3. März von Südosten und Osten angegriffen. Im Norden wurde die Stadt umgangen und war nicht mehr zu halten. Unsere Kreisstadt mit den wichtigsten Strassen und dem Eisenbahnknotenpunkt wurde aufgegeben und am 4. März 1945 ohne wesentliche Kämpfe aus Süden und Osten von sowjetischen Einheiten besetzt. Die Stadt Naugard im Nachbarkreis mußte am gleichen Tag auf-gegeben werden. Das gleiche Schicksal traf am 5. März das Städtchen Massow.
So wurde unser Landkreis in dem atemberaubendem Tempo von ganzen drei Tagen von den Russen erobert. Der unvermeidliche Durchbruch durch die deutsche Front gelang den Russen zwischen Klein Silber und Glambeck und brachte sie über Groß Silber und Nörenberg nordwärts. Dadurch wurde hier die 5. Jg.-Div. zunächst in zwei Teile gespalten. Das Generalkommando versuchte noch mit einem einzigen, noch greifbaren Reserve-Infanterie-Bataillon und mit drei Sturmgeschützen einen Flankenstoß von Zamzow auf Alt Storkow, um die durchbrochene Spitze des Gegners aufzufangen. Das Unternehmen mißlang aber vollständig.

Fast in allen Orten unseres Kreises sind die Bewohner erst in den letzten Stunden aufgebrochen. Es galt der Wille zum Überleben. Schwer hatten es die Alten und Kranken. Für die Kinder war es teilweise ein großes Abenteuer. Ein endloses Band von Treckfahrzeugen strebte zum Westen, um das rettende Oderufer zu ereichen. Viele schafften es nicht, die Oder zu erreichen. Auf der neuen Autobahn, die gleich hinter Freienwalde bei Voßberg begann, waren die Treckfahrzeuge zweireihig und dreireihig hin und wieder zu Knäueln geballt. In den letzten Tagen des Februars und in den ersten Tagen des Monats März war es noch kalt und teilweise Eis auf den Strassen, und die Pferde hatten es sehr schwer. Durch die Wagenkolonnen, die nicht mehr die Oder erreichten, bahnten sich feindliche Panzer und ab und zu fiel eine Bombe. 

Es gab Tote und Verletzte unter den Flüchtenden. Viele Trecks wurden von den Russen wieder zurückbeordert. Sie fanden ausgebrannte Dörfer und zerstörte Höfe. Die Alten starben in den feuchten Nächten, die Kinder an Hunger und viele litten an Diphtherie und Ruhr. Die Zuckerkranken starben aus Mangel an Insulin. Es waren Leidenstage, wie wir sie heute nicht auszudenken vermögen".


1) Das Bildmaterial wurde dem Buch "Pommersche Passion* entnommen und zeigen den Treck von Ostpreußen über das Haff.



 Die Heimat verloren - die Zukunft ungewiss 1)



     immer weiter westwärts... 1)  


Stargard 1945 - Pyritzer Tor, Heiliggeistkirche